Die Menschheit ist hungrig. Hungrig nach Rohstoffen. Doch wir haben ein Problem: Die Vorkommen in der Natur werden immer knapper, aber unser Bedarf steigt. Darum kommt in Zukunft Urban Mining eine große Bedeutung zu. Unsere urbanen Räume sind die Rohstoffminen von morgen. Es ist an der Zeit, diese Schätze zu heben.
Was ist Urban Mining?
Urban Mining ist „Bergbau im städtischen Bereich“. Keine Sorge, keiner will in deinem Garten nach Erzen schürfen und niemand will deine Straßen aufreißen, um an versteckte Rohstoffe zu gelangen.
Allerdings geht es darum, bereits verwendete Materialien und Rohstoffe zurückzugewinnen und wiederzuverwerten. Das sind beispielsweise wertvolle Metalle aus Elektronikschrott. Oder Kupfer und Stahl aus Bauschutt.
Urban Mining betrachtet daher unsere Städte als riesige, dynamische, vom Menschen gemachte Lagerstätten, auch als anthropogene Lager bezeichnet. Urban Mining bedeutet daher, den vom Menschen geschaffenen Bestand an Materialien zu nutzen. Das ist ein hart logischer Gedankengang, denn Städte sind vollgestopft mit Ressourcen. Diese dürfen wir nicht verkommen lassen.
Natürlich betrifft Urban Mining nicht nur Elektroschrott oder Bauabfälle, das wäre viel zu kurz gedacht. Bei diesem Ansatz wird in neun verschiedenen Sektoren nach wertvollen Rohstoffen gesucht:
- Technische Güter im Hochbau
- Mobile Güter in Gebäuden (ohne Elektrogeräte)
- Mobile Güter in Gebäuden (Elektrogeräte)
- Stromerzeugungsanlagen
- Stromnetze
- Fahrzeuge
- Verkehrsinfrastruktur
- Industrieanlagen
- Maschinen
Quelle: handelsblatt.com
Diese Aufzählung zeigt, dass wir über die Art und Weise nachdenken müssen, wie wir mit den von uns gebauten und geschaffenen Gütern, Produkten, Anlagen, Häusern, Maschinen und Transportmitteln und den darin steckenden Rohstoffen in Zukunft umgehen werden. Urban Mining ist ein Schlüssel dazu.
Warum ist Urban Mining so wichtig?
Unsere Abhängigkeit von Technologie hat zu einem explosionsartigen Anstieg von Rohstoffbedarf geführt. Aber wir bauen auch Häuser, Maschinen, Industrieanlagen sowie Infrastrukturen und auf unseren Straßen sind immer mehr Fahrzeuge unterwegs. Dafür importieren wir jährlich Milliarden von Primärrohstoffen, also frisch gewonnene Rohstoffe, die uns jährlich Milliarden kosten.
Wenn wir den Bedarf an primären Ressourcen für die Produktion nicht reduzieren, schaden wir mehr und mehr unserer Umwelt. Erosion, Wasserverschmutzung und -knappheit, Zerstörung von Ökosystemen und der Verlust der biologischen Vielfalt sind nur einige der vielen Umweltauswirkungen des traditionellen Rohstoffabbaus. Hinzu kommt der enorme CO2-Ausstoß durch den Abbau und die Verarbeitung dieser Materialien.
Urban Mining bietet eine Möglichkeit, diesen zerstörerischen Kreislauf zu durchbrechen und dabei sowohl wirtschaftlichen als auch ökologischen Nutzen daraus zu ziehen.
Einige Gründe, warum Urban Mining immer wichtiger wird:
- Durch die Rückgewinnung von Ressourcen reduzieren wir den Bedarf an neu abgebauten Materialien und nutzen das, was bereits vorhanden ist.
- Da weniger primäre Ressourcen abgebaut werden müssen, verringert sich unser ökologischer Fußabdruck.
- Urban Mining bietet wirtschaftliche Vorteile, indem es neue Geschäftsmöglichkeiten schafft und die Kosten für den Import von Rohstoffen reduziert.
- In Zeiten weltweiter Unsicherheiten sorgt das lokale Gewinnen und Recyceln von Rohstoffen für mehr Versorgungssicherheit.
- Urban Mining fördert Innovationen, da neue Technologien und Verfahren entwickelt werden müssen, um Materialien effizient und mit geringeren Umweltauswirkungen zurückzugewinnen.
Was erschwert Urban Mining?
Urban Mining hört sich prima an, doch die Umsetzung steht vor Herausforderungen. Das wird am Beispiel Gebäude deutlich.
Gebäude sind eine wertvolle Quelle von Ressourcen. Der Großteil der Materialien ist aber gemischt und schwer zu trennen. Bei alten Gebäuden ist zudem unklar, welche Materialien genau verbaut worden sind. Das macht es schwierig, reine Rohstoffe und Materialien zurückzugewinnen.
Daher muss der Bauschutt mit hohem Aufwand sortiert werden, um die Materialien und Rohstoffe zu identifizieren. Auch eine anschließende Aufbereitung ist oftmals notwendig, um die sekundären Materialien wiederverwenden zu können. Darum müssen neue Technologien und Verfahren entwickelt werden, um Materialien effizienter trennen zu können. Sensoren und maschinelles Lernen sind mögliche Ansätze, um Typ und Menge an wiederverwendbaren Materialien in einem Objekt schnell zu bestimmen. Um dem Vorzubeugen, werden wir in Zukunft Materialkataster benötigen, eine Aufzeichnung aller verwendeten Materialien, um die Trennung zu vereinfachen.
Aber auch die Art und Weise, wie wir bauen, muss überdacht werden, wenn wir Urban Mining vereinfachen wollen. Zukunftsorientierte Unternehmen entwickeln beispielsweise bereits Konzepte, die auf Stecksystemen beruhen, um die Bauelemente und Materialien zu einem späteren Zeitpunkt leicht trennen und wiederverwenden zu können. Solche Konzepte werden bereits erfolgreich umgesetzt.
Das lässt sich natürlich auf Geräte, Maschinen, Fahrzeuge, Infrastrukturen und Industrieanlagen übertragen. Es muss ein Umdenken geschehen, wie und mit welchen Rohstoffen gebaut und produziert wird und neue Materialien müssen leicht trennbar, recycelbar und wiederverwendbar werden. Und alles so, dass wir geringstmögliche Auswirkungen auf die Umwelt ausüben.
Der menschliche Faktor fordert Urban Mining heraus
Urban Mining beginnt nicht nur im „Großen“, sondern auch bei uns zu Hause. Es ist bekannt, dass wir dazu neigen, Elektrogeräte und Elektroschrott zu horten. Es liegen beispielsweise 200 Millionen ungenutzte, alte Smartphones in heimischen Schubladen, Schachteln und Schränken. Wie wir an anderer Stelle bereits berichtet haben, stecken darin 1,8 Tonnen Palladium, 4,8 Tonnen Gold und 50 Tonnen Silber!
Hinzu kommen unzählige andere gehortete, meist kleine Elektrogeräte, die nicht mehr verwendet werden, aber voller Rohstoffe stecken. Diese fehlen an anderer Stelle.
Aber auch die falsche Entsorgung ist ein Problem. Als Wiederaufbereiter von Druckerkartuschen können wir ein Lied davon singen. In etwa 70% aller Fälle werden Tintenpatronen und auch Tonerkartuschen nach einmaligem Gebrauch in den Restmüll entsorgt. Eine richtige Entsorgung würde dagegen die darin enthaltenen Rohstoffe erhalten. Eine Entsorgung in die Wiederaufbereitung verlängert sogar den Produktlebenszyklus der Kartuschen und spart pro Kartusche rund 60% CO2-Emissionen ein.
Es bedarf also einer intensiven Aufklärung und einer klaren Vereinfachung der Elektroschrott-Entsorgung, damit die Rohstoffe wieder in den Kreislauf zurückgelangen und der Bedarf an traditionellem Rohstoffabbau gemindert wird. Wir müssen also selbst tätig und selbst „Urban Miner“ werden.
Vom einzelnen Produkt zur ganzen Stadt: Recycling, Kreislaufwirtschaft und Urban Mining im Vergleich
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Recycling und Kreislaufwirtschaft mit Urban Mining eng verknüpft sind. Aber es gibt Unterschiede:
Urban Mining
Urban Mining konzentriert sich darauf, wertvolle Ressourcen aus bestehenden urbanen Infrastrukturen wie Gebäuden, Straßen und Elektronikschrott zu extrahieren. Es zielt dabei hauptsächlich auf das „Bergwerk der Städte” ab, also auf Materialien, die bereits in unseren urbanen Gebieten vorhanden sind.
Klassisches Recycling
Beim Recycling sammeln und bereiten wir Abfälle auf, um sie in neue Produkte umzuwandeln. Der Hauptfokus ist also die Umwandlung von Abfall in wiederverwendbares Material, oft durch Sortierung, Zerkleinern, Schmelzen usw.
Kreislaufwirtschaft
Die Kreislaufwirtschaft befasst sich mit der Gestaltung von Systemen, in denen Ressourcen ständig wiederverwendet und recycelt werden, um Abfall und Umweltauswirkungen zu minimieren. Es handelt sich um einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem sowohl das Produktdesign als auch der anschließende Umgang mit Produkten darauf ausgerichtet sind, eine kontinuierliche Wiederverwendung von Materialien zu fördern und Abfall zu vermeiden.
Übersicht zu den Hauptunterschieden zwischen Recycling, Kreislaufwirtschaft und Urban Mining mit Beispielen:
Ziel | Schwerpunkt | Beispiele | |
Urban Mining | Extraktion wertvoller Ressourcen aus urbanen Strukturen | Wiedergewinnung von Ressourcen aus bestehenden Bauwerken und Produkten | Sammeln von Gold aus alten Handys; Wiederverwenden von Mauersteinen |
Klassisches Recycling | Sammeln und Umwandeln von Abfall in neue Produkte | Umwandlung von Abfall in wiederverwendbares Material | Tintenpatronen zerkleinern, Materialien trennen, schmelzen und zu neuen Produkten verarbeiten |
Kreislaufwirtschaft | Gestaltung von Systemen für kontinuierliche Wiederverwendung | Ganzheitlicher Ansatz; Produktdesign und Umgang während und nach ihrem Lebenszyklus | Produktentwurf für leichte Demontage und Wiederverwendung der Bestandteile; Wiederaufbereitung von Druckerkartuschen |
Urban Mining – Ein Blick in die Zukunft
Es ist das Jahr 2100.
Unsere Städte haben eine bemerkenswerte Transformation durchlaufen. Anstelle von starren, permanenten Strukturen, die Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte überdauern, sind unsere Gebäude jetzt dynamisch, anpassungsfähig und mobil. Ein Bürogebäude in Berlin, das seine Funktion verloren hat, wird innerhalb weniger Tage in seine Einzelteile zerlegt. Jeder Baustein, jede Wand, jedes Fenster wird sorgfältig katalogisiert und bereit für den Transport gemacht.
Einige Tage später werden diese Bausteine in München zu einem neuen, innovativen Gemeinschaftszentrum zusammengesetzt – alles ohne Abfall, ohne den Bedarf an neuen Ressourcen. Dies ist die Welt der modularen Architektur. Gebäude sind nicht mehr statische Konstrukte, sondern flexible, veränderbare Systeme. Jedes Modul kann nach Bedarf hinzugefügt, entfernt oder ausgetauscht werden. Diese Art von Architektur ermöglicht es, Städte dynamisch an sich ändernde Bedürfnisse und Vorlieben ihrer Bewohner anzupassen.
Die Umweltauswirkungen sind minimal. Statt Gebäude abzureißen und dabei Unmengen von Bauschutt zu produzieren, werden die Module einfach wiederverwendet. Das spart nicht nur Ressourcen, sondern reduziert auch den Energieverbrauch und die CO2-Emissionen, die normalerweise mit Neubauten verbunden sind.
Doch die modulare Revolution betrifft nicht nur Gebäude.
Nehmen wir das Beispiel unserer alltäglichen Elektronik. In diesem Zukunftsszenario haben wir Smartphones, Laptops und andere Geräte, die nicht mehr als Einwegprodukte betrachtet werden. Das Smartphone hat einen Defekt. Doch anstatt es zu ersetzen, gehen wir zu einem nahegelegenen Servicepunkt. Dort sind Ersatzmodule jeder Art vorrätig. Ein defektes Display? Es wird innerhalb weniger Minuten durch ein neues Modul ersetzt, während das alte Modul entnommen wird. Aber es wird nicht einfach entsorgt. Jedes Bauteil, jeder Chip, jedes Stück Metall wird getrennt und zur Wiederverwertung vorbereitet.
In spezialisierten Zentren, den sogenannten „Urban Mining Hubs“, werden diese Teile nicht nur gesammelt, sondern die Rohstoffe, aus denen sie bestehen, auch extrahiert und für neue Anwendungen bereitgestellt. Die Gold-, Silber- und Seltene-Erden-Anteile, die in vielen unserer Elektronikgeräte enthalten sind, werden wiedergewonnen und fließen zurück in die Produktion neuer Module, Geräte oder anderer Produkte.
Auch hier sind die Vorteile beeindruckend: Der elektronische Abfall geht drastisch zurück, der Bedarf an neu abgebauten Rohstoffen sinkt und der gesamte Prozess spart Energie und reduziert Emissionen. Zudem eröffnet dies Möglichkeiten für lokale Arbeitsplätze und fördert eine Wirtschaft, die Ressourcen schätzt und sorgsam mit ihnen umgeht.
In dieser Vision von 2100 sind unsere Städte und Technologien nicht nur leistungsfähig, sondern auch nachhaltig und zukunftsorientiert. Unsere Denkweise hat sich gewandelt, weg von der Wegwerfmentalität, hin zu einer Kultur des Bewahrens, Recycelns und Neuverwendens. Perfektes Urban Mining in Verbindung mit Kreislaufwirtschaft und Recycling. Ein Traum, der hoffentlich die Realität zukünftiger Generationen sein wird!