Was, wenn wir Teile der Natur als juristische Person anerkennen – Flüsse, Wälder, Gletscher? Das ist auf den ersten Blick eine irritierende Idee, auf die ich durch einen Beitrag auf spektrum.de aufmerksam wurde. Tatsächlich ist diese Idee an manchen Orten der Welt bereits Realität.
Natur als juristische Person: Eine neue Sichtweise auf unsere Umwelt
Die Vorstellung, dass ein Stück Natur Rechte haben und sie als Rechtsperson einfordern könnte, wirkt abstrakt, und doch gibt es bereits reale Beispiele dafür. In Kolumbien sind beispielsweise 2017 dem Fluss Río Atrato in Kolumbien Rechte zugesprochen worden:
Auch aus Indien und Neuseeland sind ähnliche Beispiele bekannt. Aber was bedeutet das?
Juristische Fiktion: So kommt die Natur zu ihrem Recht
Auch heute schon werden ‘Sachen’ wie eine juristische Person behandelt, etwa Unternehmen oder Vereine. Man nennt das juristische Fiktion.
Im Beitrag auf spektrum.de wird auch darauf hingewiesen, dass die Verwandlung einer Sache in eine juristische Person bekannt ist. Als Beispiel wird ein Blick auf das alte römische Recht geworfen, Zitat:
“[…] die Frage, welchen Status die Habe eines Verstorbenen im Zeitraum zwischen Tod und tatsächlicher Vererbung hat. Im römischen Recht galt: Nach dem Tod wurde der Besitz zunächst zu einer eigenständigen juristischen Person, […]. Sobald das Erbe geregelt war, verwandelte er sich im rechtlichen Sinn wieder zu einer Sache.”
spektrum.de „»WIE UNS DAS RECHT DER NATUR NÄHER BRINGT«:Eigene Rechte für Ökosysteme? Für einen neuen Umgang mit der Natur“ von Anton Benz
Wir sehen beispielsweise einen Fluss als Sache. Wenn ihm ‘Unrecht geschieht‘, hat er keine Rechte. Anders schaut es aus, wenn er als juristische Person anerkannt wäre.
In unserem Beispiel würden dem Fluß durch die Anerkennung des Status einer juristischen Person eigene Rechte und ein gesetzlicher Schutz zustehen. Statt den Fluss nur als Ressource zu betrachten, wäre er plötzlich als Rechtsträger anerkannt und könnte sich beispielsweise über einen Treuhänder vor Gericht vertreten lassen, wenn er in Gefahr schwebt und diese gebannt werden muss.
In einem Zitat im Beitrag von spektrum.de von Bourgeois-Gironde, ein Philosoph und Ökonom, wird es auf den Punkt gebracht:
„Werde die Beziehung zwischen Mensch und Natur nicht mehr als Verhältnis von Staat und Bürgern und damit im öffentlichen Recht geregelt, sondern als Verhältnis zwischen Bürgern, könnten neue Wege beschritten […] werden.“
Sacha Bourgeois-Gironde, Philosoph, Ökonom, Autor
Rechte der Natur vs. menschliche Bedürfnisse
Natürlich wirft die Idee, Teile der Natur zur juristischen Person zu machen, auch Fragen auf: Wie kann es möglich sein, dass die Rechte der Natur nicht mit den menschlichen Bedürfnissen kollidieren? Wie können sein Schutz und die vom Menschen als notwendig erachtete Nutzung gleichzeitig berücksichtigt werden?
Hier kommt es wohl auf ein gutes Gleichgewicht an, beides muss unter einen Hut gebracht werden. So könnte man zwar einen Fluss, der in der Natur als juristische Person anerkannt ist, weiterhin als Wasserquelle verwenden – aber nur, wenn – laienhaft ausgedrückt – seine Rechte auf Unversehrtheit durch eine verträgliche, nachhaltige Nutzung berücksichtigt werden.
Natur als juristische Person: Wer hat sich mit dieser Idee befasst?
Der Beitrag auf spektrum.de von Anton Benz ist eine Buchkritik zum im Oktober 2023 erschienenen Buch “Wie uns das Recht der Natur näher bringt” von Sacha Bourgeois-Gironde. Lest euch die Rezession durch oder kauft gleich das Buch. Ich habe es bereits in meine Leseliste eingetragen.
Autor: Sacha Bourgeois-Gironde
Titel: Wie uns das Recht der Natur näher bringt
Verlag: Matthes & Seitz, Berlin 2023
ISBN: 9783751805681
Klingt es nicht einfach und verlockend, Gletschern, Gebirgen, Wäldern oder Flüssen Rechte zuzusprechen, damit diese juristisch durchgesetzt werden können? Wäre es nicht eine Möglichkeit, die Natur besser zu schützen und damit einen besseren Umgang mit unserer Umwelt herbeizuführen, wenn man Teile der Natur als juristische Person einstuft? Spannende Fragen, die hoffentlich weltweit aufgegriffen werden und neue Perspektiven liefern.